gift 2023
"gift" - toxische Geschenke
mit:
Willimann / Arai
Markus Müller
Pedro Wirz
pedrowirz.com
markusmüller.ch
willimannarai.net
gift
Gift in der Landwirtschaft ist ein viel diskutiertes Thema. Mit weniger Aufwand zu mehr Ertrag zu kommen ist wahrscheinlich, seitdem die Menschen sesshaft geworden sind, ihr zentrales Bestreben. Dass sie im letzten Jahrhundert, um ihren Feinden zuvor zu kommen, auch vor grossflächigem Einsatz von Gift nicht zurückschreckten, also nicht weiter erstaunlich. Die Produktion von grösseren Mengen an Nahrungsmitteln ermöglichte das exponentielle Wachstum der Weltbevölkerung und dies mit immer weniger Beschäftigten in der Landwirtschaft. Wertet man Wachstum positiv, muss die Agrochemie klar als Geschenk gedeutet werden.
Carl Sprengel und Justus von Liebing entwickelten um 1850 die Grundlagen der Mineraldüngung sowie das bis heute gelehrte «Gesetz des Minimums». Dieses besagt, dass sich der Einsatz von Kunstdünger an dem im Minimum vorhanden Nährstoff orientiert und dass dieser zuerst zu ergänzen ist. Die Erfindung des Haber-Bosch Verfahrens um 1910 zur Gewinnung von synthetischem Stickstoff verlieh der breitenVerwendung von Kunstdüngern zur Ertragssteigerung zusätzlichen Schub. Bald darauf wurden auch die ersten synthetischen Insektizide und Herbizide entwickelt. Diese Erfindungen sind eng mit den Gräueln der chemischen Kriegsführung in den beiden Weltkriegen und im Vietnamkrieg verknüpft. Fritz Haberwurde mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Seine Forschung ermöglichte zwar grössere Ernten doch das gewonnene Ammoniak ist nicht nur Grundstoff für Düngemittel, sondern auch für Sprengstoff. Habers Erkenntnisse dienten ebenso als Grundlage für den Giftgaseinsatz mit Chlorgas im ersten Weltkrieg. Viele Chlorverbindungen wurden daraufhin als Insektizide und als Saatgutbeizmittel eingesetzt. Aufgrund ihrer enormen Schädlichkeit für Mensch und Natur sind sie als «dreckiges Dutzend» in die Geschichte eingegangen. Viele toxische Pflanzenschutzmittel wie DDT und Atrazin wurden von Schweizer Chemikern und Firmen massgeblich mitentwickelt und wurden später, aufgrund der enormen Schäden, welche sie an Mensch und Natur anrichteten, verboten. Aktuell werden Wirkstoffe wie Glyphosat oder Neonicotinoide kontrovers diskutiert und die Zeit wird zeigen, wohin die Reise geht. Die Weiterentwicklung von synthetischen Pflanzenschutzmitteln und deren präzise Anwendung schreitet voran, genauso wie die Suche nach Alternativen.
Die Gründung von Biolandbau-Organisationen und Pioniere eines ganzheitlichen Verständnisses von Mensch und Natur sind als Gegenbewegung vor diesem Hintergrund zu sehen. Rudolf Steiner, Mina Hofstetter sowie das Ehepaar Maria und Hans Müller leisteten einen enormen Einsatz, um der chemischen Revolution der Landwirtschaft etwas entgegen zu setzen.
Permakultur, Gründüngungen, Agroforst und syntropische Landwirtschaft erfreuen sich grossen Interesses. Im Unterschied zur «konventionellen» Landwirtschaft wurde in diesen Feldern im letzten Jahrhundert leider nur sehr wenig geforscht. Es besteht also Aufholbedarf - auf dass der Mensch die Natur als Grundlage seiner Existenz erkennt, zu der es Sorge zu tragen gilt. Ihre Geschenke sind nicht endlos und verdienen mehr Respekt.
Chemie, Farben, Gift und Kunststoffe haben auch in der Kunstproduktion ihren festen Platz, genauso wie die Reflexion über deren Verwendung. Farben können mit Hilfe von «Gift» leuchtender, ja gar fluoreszierend und dazu auch noch viel leichter zu Verarbeiten gemacht werden. Synthetische Kunststoffe sind im Gegensatz zu natürlichen Werkstoffen greller, glatter und reproduzierbarer. Dies verleiht natürlich auch der künstlerischen «Plastik» immer neue ungeahnte Möglichkeiten.
Also doch ein Geschenk? Aber was ist ein Geschenk überhaupt? Kommt es bedingungslos von Herzen oder ist es an ein Gegengeschenk geknüpft? Wie verhält es sich mit der Ökonomie des Schenkens? Diese Fragen stellen sich für Kunst und Landwirtschaft gleichermassen.



Special gift:
SCHAUFENSTER #2
Künstlerische Leitung: Domi Chansorn
Idee & Leitung: Dimitri de Perrot
Licht: Patrik Rimann
Bühne: Raphaël Wileumier
Domi Chansorn spielt im SCHAUFENSTER mit dem gemeinsam gehörten Hören und seinen Dimensionen im Umfeld des Hof Blum. Der enigmatische, junge Zürcher Musiker setzt auf das räumlich-musikalische Livespiel in direkter Interaktion mit der realen Umgebung, dem Publikum und dem Momentum der Zufälligkeit an Ort und Stelle. Gespielt wird zu verschiedenen Tagszeiten, früh oder spät und auch mal zwischendurch ad-hoc, bestimmt durch Begegnung und Publikumswunsch. Chansorn spielt Solo, im Dialog mit der Umgebung,
aber auch spontane bis konzertante Sets mit eingeladenen Gästen oder Zufallsgästen.
Das SCHAUFENSTER #2 wird so zu einem personalisierten «Gegenüber» und improvisiert mit allem, was kommt und geht. Es ist ein Zusammenspiel mit den dynamischen Elementen und Quellen der Umgebung: Passanten, Tieren, Wind und Wetter – sowie der starken visuellen Präsenz des SCHAUFENSTER und seiner adaptiven Transparenzen, Farben und Spiegelungen. Das Publikum sitzt im «tiny space» oder davor. Es mischt sich direkt und physisch mit der gespielten musikalischen Klangwelt – und so formiert sich der Ort ständig neu.
